Zu viele hochkalorische Getränke machen auf Dauer dick und gefährden so die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen

„Zuckerhaltige Getränke sind ein riesiges Problem!“

Autorin

Caroline Cornfine

Prof. Dr. Berthold Koletzko ist Leiter der Stoffwechselabteilung am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München und befasst sich intensiv mit dem Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen. BRODZEIT hat mit ihm über den aktuellen Status Quo in Deutschland gesprochen. Der Mediziner erläutert, warum eine gesunde Ernährung von Anfang an so wichtig ist – und welche Folgen es haben kann, wenn Kinder und Jugendliche zu viel Fast Food, Fertigmahlzeiten und gezuckerte Getränke zu sich nehmen. Er rät Eltern zum Eingreifen – zum Beispiel durch das Limo-Wasser-Experiment.

Wie steht es um die Gesundheit unserer Kinder?

Grundsätzlich haben Kinder und Jugendliche in Deutschland sehr gute Gesundheitschancen. Die Zahlen zur Säuglings- und Kindersterblichkeit gehen immer weiter zurück, vor allem weil wir Infektionen durch gute Hygiene und Impfungen wirksam bekämpfen beziehungsweise davor schützen können. Wir sind also prinzipiell in einer sehr guten Situation.

Das hört sich so an, als käme jetzt ein Aber…

Und zwar ein großes! Denn es gibt heutzutage auch viele neue Bedrohungen. Wir haben es unter anderem mit einer Epidemie von Übergewicht und den damit verbundenen Folgen zu tun, die die Lebenschancen betroffener Kinder deutlich beeinträchtigen.

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass so viele Kinder unter Übergewicht leiden?

Die entscheidenden Faktoren sind zu wenig Bewegung und – noch ausschlaggebender – eine unausgewogene Ernährung. Laut dem Kindergesundheitsbericht 2022, den die Stiftung Kindergesundheit veröffentlicht hat, essen 80 Prozent unserer Kinder noch nicht einmal die Hälfte der empfohlenen Mengen an Obst und Gemüse. Gleichzeitig nehmen sie viel zu hohe Mengen an stark verarbeiteten Produkten mit oft gesundheitsgefährdenden Zusammensetzungen zu sich.

Viele Kinder bewegen sich zu wenig. Wenn dann noch die Ernährung unausgewogen ist, ergibt sich eine folgenschwere Kombination

Welche sind dabei am schädlichsten?

Neben Fast Food und Fertigmahlzeiten, die oft ein Fünftel der täglichen Energiemenge ausmachen, sind vor allem zuckerhaltige Getränke ein riesiges Problem. Mädchen im Teenager-Alter trinken im Durchschnitt jeden Tag einen halben Liter an Süßgetränken wie Limo, Eistee oder Fruchtnektar. Jungs sogar noch 50 Prozent mehr! Das ist wirklich sehr, sehr viel. Um diesen Zustand zu ändern, müssen wir präventiv eingreifen. Würde man die genannten Getränke beispielsweise durch Wasser ersetzen, würde das bei einem Kind in etwa fünf Wochen zu einem Gewichtsverlust von einem Kilo führen.

Warum ist ein Eingreifen so wichtig?

Zum einen, weil es für die betroffenen Kinder sehr belastend ist. Zum anderen, weil unser Gesundheitssystem das nicht stemmen kann. Mannheimer Gesundheitsökonomen haben berechnet, dass für die heute übergewichtigen Kinder in Deutschland im Laufe ihres Lebens rund 393 Milliarden Euro an Gesundheits- und Sozialkosten entstehen. Diese immense Summe können wir uns nicht leisten.

Sehen Sie hier eher die Eltern in der Verantwortung oder die Industrie?

Ändern können das letztendlich alle wichtigen Akteure. Natürlich die Eltern, die wir stärken und informieren wollen, aber auch die Schulen und Kitas, die eine gute Gemeinschaftsverpflegung anbieten müssen und Kinder aufklären und motivieren sollten. Die Industrie bleibt selbstverständlich auch nicht außen vor. Dafür braucht sie aber Rahmenbedingungen wie zum Beispiel den Nutriscore.

Aber der steht doch auch immer wieder in der Kritik…

Was Familien beim Einkauf im Hinterkopf behalten sollten: Der Nutriscore eignet sich nur zum Vergleich von Produkten innerhalb einer Produktgruppe. Er zeigt zum Beispiel an, welche Frühstücksflocken gesünder sind als andere. Wir würden uns wünschen, dass der Nutriscore in Zukunft für alle Lebensmittelhersteller verpflichtend wird. Dieses Werkzeug motiviert Firmen einfach, ihre Produkte gesünder zu machen. Der zweite Punkt ist, dass es nur noch Werbung für Produkte geben darf, die ein gutes Nährstoffprofil haben. Das hat sogar zwei Effekte: Kinder werden nicht dazu animiert, ungesunde Produkte zu kaufen – und die Industrie wird angeregt, gesunde Produkte herzustellen, weil sie dann dafür werben darf. Vor allem ist es wichtig, Maßnahmen zu finden, die Kinder aller sozialen Schichten erreicht und die soziale Ungerechtigkeit reduziert.

Fünf Portionen Obst sollten es am Tag sein. Eine Portion entspricht dabei einer Hand voll

Was sollten Eltern beachten, um die Gesundheit ihrer Kinder von Anfang an positiv zu beeinflussen?

Das wichtigste ist tatsächlich der tägliche Verzehr von Obst und Gemüse, am besten auch noch regional und saisonal. Fünf Portionen pro Tag sollten es sein, eine Portion entspricht dabei einer Hand voll. Dazu kommt die Begrenzung von energiedichten Produkten. Also statt mächtigen Schokoriegeln im besten Fall lieber Obst oder zumindest Süßigkeiten wie Fruchtgummi, das auf 100 Gramm etwas weniger Kalorien enthält. Das kann auf Dauer schon einen großen Unterschied ausmachen! Dazu gerne regelmäßig frisch kochen – und die Kinder gleich mit einbeziehen.

Experte

Prof. Dr. Berthold Koletzko

ist Gründer und Erster Vorsitzender des Sitzungsvorstandes der Stiftung Kindergesundheit sowie Vorsitzender der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München leitet er die Abteilung „Stoffwechselstörungen und Ernährungsmedizin“.

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