Patrycja Pallentin aus dem Taunus hat sich als Expertin auf das Thema Darm spezialisiert und berät hauptsächlich (werdende) Mütter

So programmierst du dein Kind (und seinen Darm) von Anfang an auf gesund

Autorin

Anna Butterbrod

Sie lernte durchs Leiden: Patrycja Pallentin wurde zur Darm-Expertin, nachdem ihr eigener völlig am Ende war. Doch das wusste die 37-Jährige zunächst nicht. Ein Infekt nach dem anderen quälte sie, schließlich sogar Depressionen – bis ein Arzt herausfand, dass hinter alldem ein Reizdarmsyndrom steckte und ihr Körper dadurch keine Nährstoffe mehr aufnahm. Patrycja stellte ihre Ernährung um und baute mit einem Probiotikum ihren Darm auf. „Faszinierend war, wie schnell es mir besser ging“, sagt sie heute. „In nur zwei Wochen war ich wie ausgetauscht. Man kann sich so viel besser fühlen, wenn nur ein paar Sachen ändert – das musste ich in die Welt tragen!“

Um dieses Vorhaben fundiert umzusetzen, studierte die Fitnesstrainerin Ernährungswissenschaften und arbeitete in einem Adipositas-Zentrum, bevor sie sich 2022 als Ernährungs-Coaching selbstständig machte.

„Das war eine krasse Zeit“, erinnert sie sich. „Da siehst du, worauf das Ernährungsverhalten vieler Menschen schließlich hinausläuft. Das gesundheitliche Ende der Fahnenstange.“ Den Patient:innen, die dort unter anderem für eine Magenverkleinerung landeten, konnte Patrycja nur noch bedingt helfen. „Sie alle litten unter extremen Darm- und Verdauungsproblemen, die sich über Jahre entwickelt hatten.“ Ihre Idee: Menschen aufrütteln, um das Problem anzupacken, wenn es wortwörtlich noch in den Babyschuhen steckt. Patrycja berät heute viele Mütter, sogar schon in der Schwangerschaft. Denn sie weiß: Die ersten 1000 Tage im Leben eines Kindes (und die beginnen mit der Befruchtung der Eizelle) legen den Grundstock für die Gesundheit eines Menschen! „In den ersten drei Lebensjahren setzt sich das Darmmikrobiom fertig zusammen. Das bestimmt nicht nur unseren Stoffwechsel, unsere Verdauung und unser Gewicht, sondern auch, wie anfällig wir später für Krankheiten wie Demenz oder Parkinson sind.“

Wie ihr euer Kind von Anfang an auf gesund programmiert: Patrycja Pallentin verrät die fünf wichtigsten Tipps

Tipp 1: Genug Futter für die guten Darmbakterien während der Schwangerschaft

„Viele Frauen denken, sie müssten in der Schwangerschaft ungesunde Lebensmittel weglassen. Aber das ist nicht das Ausschlaggebende“, sagt die Expertin. „Die Frage sollte eher lauten: Wovon brauche ich mehr? Wichtig ist vor allem das richtige Futter für die guten Darmbakterien. Die freuen sich über jede Art von Ballaststoffen, aber vor allem über die präbiotischen.

Präbiotische Darmbakterien stecken u.a. in Kartoffeln, Reis oder Nudeln, die man am Vortag gekocht hat. Außerdem in Haferflocken, Roggenprodukten, Chicorée, grünlichen Bananen, Artischocken, Lauch, Zwiebeln und Knoblauch.

„Gemüse und Vollkornprodukte sind generell günstig. Davon mehr zu essen, lässt sich im Alltag stressfrei umsetzen. Allein wenn man bei Brot und Nudeln auf Vollkornvarianten setzt, kann man schon viel erreichen. Außerdem sollten sich Schwangere – und auch gerne alle anderen – angewöhnen, den Gemüseanteil auf dem Teller zu erhöhen und zu jeder Mahlzeit etwas Frisches zu essen. Selbst zur Brotzeit zum Beispiel eine kleine Portion aufgetauten TK-Blumenkohl. Wenn man darauf achtet, reduziert sich automatisch der Anteil von Weizen, tierischem Eiweiß und einfachem Zucker. Alles Komponenten, die die Bakterien füttern, die die Darmschleimhaut löchrig machen und dem Körper so Stress zufügen. Und gerade in einer Schwangerschaft will man das nicht.“

Lasst ihr gekochte Nudeln über Nacht stehen, entwickelt sich darin eine Extraportion präbiotischer Darmbakterien | Foto: Kamran Aydinov, Freepik

Tipp 2: Das Immunsystem mit probiotischen Bakterien unterstützen – vor und nach der Geburt

Milchsäurebakterien und Bifidobakterien – im Fachjargon probiotische Bakterien genannt – zählen zu den nützlichen Bakterien, deren Anzahl im Darm es zu vermehren gilt.

Milchsäurebakterien stecken u.a. in Naturjoghurt, Kefir, Ricotta, Misosuppe sowie in Kimchi und Sauerkraut (bei den letzten beiden aber die frische Variante, nicht die pasteurisierte aus dem Supermarkt, denn da sind die Bakterien schon kaputt).

„Den Anteil an probiotischen Bakterien sollten Frauen ab mindestens zehn Wochen vor der Geburt erhöhen“, rät Patrycja Pallentin. „Denn die Bakterienstämme brauchen eine gewisse Zeit, um sich zu entwickeln. Eine gute Darmflora wird bei der Geburt automatisch ans Kind übertragen.“ Wer auf Nummer Sicher gehen will, nimmt Probiotika, also Milchsäurebakterien als Nahrungsergänzungsmittel. „Bitte in der Apotheke kaufen, dort werden Schwangeren geeignete Produkte empfohlen.“ Wichtig sei dies vor allem für Mütter, die selbst zu Allergien oder Neurodermitis neigen: „Studien haben ergeben, dass sich das Risiko von Allergien, Neurodermitis und Atemwegserkrankungen in den ersten drei bis fünf Lebensjahren um bis zu 80 Prozent reduziert, wenn die Mutter ein Probiotikum genommen hat und auch das Kind damit behandelt wurde. Probiotika unterstützen das Immunsystem.“ Nimmt die Mutter Probiotika, überträgt sie die Inhaltsstoffe beim Stillen. „Ich habe von dem löslichen Pulver aber manchmal auch einfach vorm Stillen eine Prise auf meine Brustwarzen gegeben und mein Sohn hat sie dann abgeschleckt“, erklärt Patrycja Pallentin. „Es müssen keine großen Mengen sein.“

Tipp 3: Beikost geben, die gekaut werden kann

Brei oder Baby Led Weaning? Patrycja Pallentin ist ganz klar für letzteres. „Viele Babybreis sind sehr süß und Kleinkinder werden damit auf diesen Geschmack geprägt“, erklärt sie. Punkt zwei: „Breis sind völlig faserfrei, das bedeutet weniger Futter für die guten Darmbakterien.“ Punkt drei: Bei vielen Brei-Gerichten sein unterschiedliche Komponenten miteinander vermischt. „Wie soll das Kind da herausfinden, was ihm im Einzelnen schmeckt? Es ist wichtig, dass Kinder einzelne Lebensmittel kennenlernen und auch schon spüren, wie wichtig es ist, diese gut zu zerkauen.“

Auch inhaltlich seien fertige Breis nicht der Hit: „Gibt man Kindern nicht nur Pastinaken- oder Möhrenpüree, sondern auch ruhig mal Hülsenfrüchte oder ein Gericht mit Zwiebeln, gewöhnt sich der Darm von Anfang an daran. Je mehr Vielfalt, reinkommt, desto mehr Vielfalt gibt es im Darm und desto gesünder ist der Mensch.“

Das gilt bis ins Erwachsenenalter! Mit ihrem dreieinhalbjährigen Sohn spielt Patrycja Pallentin daher täglich das „Regenbogen-Spiel“: Die beiden erzählen sich am Abend gegenseitig, welche Farben sie heute in Form von Lebensmitteln zu sich genommen haben. Wer mehr hat, gewinnt. „Ihm bringe ich spielerisch näher, wie wichtig das ist. Ich sage ihm: ,Wenn du Buntes isst, freuen sich deine Bauchfreunde darüber! So bleibt der Schnupfen nicht so lange, hast du weniger Bauchweh, kannst länger klettern und hast bessere Laune.“

Patrycja Pallentin empfiehlt, Kleinkindern Fingerfood vorzusetzen statt pürierten Brei | Foto: Freepik

Tipp 4: Keine Angst vor der Angst vor Neuem

Durch diese Phase geht jedes Kind: Bis zum Alter von zwei Jahren sind die meisten offen für neue Geschmackserfahrungen, danach werden sie oft vorsichtiger. „Das ist ganz normal und evolutionär bedingt. Das Kind hängt jetzt nicht mehr so an der Mutter, und der Körper sorgt dafür, dass es sich nichts Schädliches in den Mund steckt. Die Geschmäcker bitter und sauer signalisieren Gefahr, Süßes ist dagegen ungefährlich.“

Brokkoli wird von Kindern zum Beispiel intensiver wahrgenommen und schmeckt im Mund für sie leicht bitter.

Die Lösung für das Geschmacks-Problem? Mit gutem Beispiel voranzugehen, sei „superwichtig“, sagt Patrycja Pallentin. „Es sollte trotzdem noch regelmäßig Brokkoli auf dem Tisch stehen und dann wird der auch irgendwann wieder vom Kind gegessen. Ab einem Alter von fünf bis sechs Jahren sollten Kinder wieder anfangen, offener zu sein. Wenn nicht, kann man mit ärztlich abklären lassen, ob vielleicht ein sensorisches Problem oder eine Unverträglichkeit dahinter steckt. Denn auch in diesen Fällen lassen Kinder instinktiv die Finger von Lebensmitteln, die ihnen nicht guttun.“

Patrycjas Tipp: Neugierig aufs Essen machen – aber ohne Druck. „Mein Sohn aß eine Zeit lang keine Möhren mehr und ich habe mir dann einfach einen Apfel-Möhren-Salat gemacht. Ich sagte zu ihm: ,Da freue ich mich drauf, der ist ganz allein für mich!‘ Und schwupps, meinte er: ,Ich will aber auch!‘“

Tipp 5: Bloß kein Hygienefimmel!

Den Darm zu stärken geht nicht nur mit Essen, sondern auch durch die Umwelt. „Viele Eltern lassen ihre Kinder gar nicht mehr in Berührung mit Bakterien kommen. Die haben schon Angst, wenn das Kind sich im Sandkasten die Hand in den Mund steckt. Aber so eine Abschottung bremst die Entwicklung eines vielfältigen Darmmikrobioms aus. Kinder sollten nicht unbedingt in der U-Bahn an der Stange lecken, aber mal auf dem Boden spielen und im Dreck wühlen lassen sind völlig in Ordnung.“

Kinder, die in der Nähe von Kühen wohnen, seien klar im Vorteil, meint Patrycja. Denn die Bakterien und Keime, die dort präsent sind, stärken das Immunsystem auf ganz besondere Weise, beugen Allergien und Asthma vor. „Wohnt man nicht auf dem Land, empfehle ich einen Besuch oder Urlaub auf dem Bauernhof. Denn das Immunsystem braucht Keime, um darauf reagieren zu können und beim nächsten Mal zu sagen: ,Dich kenne ich, du kommst hier nicht rein!‘“

Patrycja Pallentin

coacht vom Taunus aus deutschlandweit werdende Mamas einzeln oder in der Gruppe. Zu dem Angebot der Ernährungswissenschaftlerin zählen u.a. eine Ernährungsprotokollanalyse, Begleitung via Whatsapp sowie ein persönlicher Maßnahmenplan. Dazu kommen Online-Workshops, -vorträge und -seminare. Wertvolle Alltagstipps verrät sie vor allem bei Instagram unter @patrycjapallentin.de

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