Kälber wachsen sehr viel schneller als Babys, daher enthält die Kuhmilch ein Extra an Eiweiß | Foto: Unsplash

„Kuhmilch ist nicht für Babys gemacht, sondern für Kälber!“

Autorin

Caroline Cornfine

Prof. Berthold Koletzko ist Leiter der Stoffwechselabteilung am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München und arbeitet mit einer Studiengruppe an der ToMI-Studie (Toddler Milk Intervention Study). Die Wissenschaftler untersuchen derzeit, wie sich der Verzehr von Kuhmilcheiweiß auf die Entwicklung von Kindern zwischen einem und sechs Jahren auswirkt. BRODZEIT hat mit Prof. Koletzko über den gesunden Umgang mit Kuhmilch und den Sinn oder Unsinn von pflanzlichen Milchalternativen im Säuglings- und Kleinkindalter gesprochen.

Die ToMI-Studie befasst sich mit dem Wachstum, der Entwicklung und dem Stoffwechsel von Kleinkindern. Der Eiweißgehalt von Milchnahrungen steht dabei im Fokus. Welche Erkenntnis haben Sie gewonnen?

Dass Kleinkinder insgesamt viel mehr Eiweiß zu sich nehmen, als sie eigentlich brauchen. Bei gestillten Kindern ist es noch okay, denn die Muttermilch hat einen vergleichsweise niedrigen Eiweißgehalt. Sie ist generell perfekt angepasst an die Bedürfnisse des Babys. Der Eiweißgehalt der Muttermilch geht im Laufe der Stillzeit zurück, da die Wachstumsgeschwindigkeit der Säuglinge abnimmt. Aber ab dem Moment, ab dem die Kinder nicht mehr überwiegend Muttermilch bekommen, steigt der Eiweißgehalt über die Beikost extrem an.

Und das ist nicht gut?

Wir haben in den letzten Jahren gelernt, dass die ersten 1000 Tage im Leben eines Babys – also die von Beginn der Schwangerschaft bis zum zweiten Geburtstag – prägend sind für die spätere Gesundheit. Ein zu hoher Eiweißgehalt in diesen 1000 Tagen kann im Kleinkind- und Schulkindalter zu Übergewicht führen, weil die Wachstumsfaktoren in dieser Phase sehr gut auf Eiweiß ansprechen. Deshalb empfehlen wir, in den ersten zwei Lebensjahren eine hohe Eiweißzufuhr zu vermeiden.

Welche Milchnahrung ist für Kinder am besten?

Allen voran natürlich Muttermilch. Wer sich, aus welchen Gründen auch immer, für industriell hergestellte Säuglingsnahrung entscheidet, sollte eine Pre- oder Folgemilch wählen, die am unteren Rand des zugelassenen Eiweißgehalts liegt. Kuhmilch dagegen ist eine richtige Eiweißbombe. Das muss auch so sein, weil Kälber sehr viel schneller wachsen als menschliche Säuglinge und deshalb mehr Eiweiß brauchen. Kuhmilch ist eben nicht für Babys gemacht, sondern für Kälber.

Muttermilch ist die beste Nahrung für Babys, gefolgt von Pre- oder Folgemilch mit einem niedrigen Gehalt an Eiweiß | Foto: Unsplash

Was halten Sie von spezieller Kindermilchnahrung, die für Kinder nach dem ersten oder zweiten Lebensjahr konzipiert ist (Kindermilch 1+ und 2+)?

Diese Milchnahrungen sind nicht zwingend notwendig, können aber aufgrund ihrer Zusammensetzung durchaus einen Beitrag zu einer gesunden Ernährung leisten. Kindermilchnahrungen enthalten in der Regel weniger Eiweiß als Kuhmilch und zusätzlich viele Nährstoffe, mit denen Kinder oft unterversorgt sind. Dazu zählt zum Beispiel die Omega-3-Fettsäure DHA, die für die Entwicklung von Sehschärfe, Gehirn und Immunsystem wichtig ist.

Ab welchem Alter können oder sollten Eltern reguläre Kuhmilch auf den Speiseplan ihrer Kinder setzen?

Als Getränk ist Kuhmilch im ersten Lebensjahr völlig ungeeignet. Die Eiweißzufuhr ist viel zu hoch und das kann Übergewicht begünstigen. Außerdem hemmt Trinkmilch die Eisenaufnahme aus anderen Lebensmitteln, und das kann bei Säuglingen und Kleinkindern zu Eisenmangel führen. Kleine Mengen Kuhmilch im Getreide-Milch-Brei sind in Ordnung, müssen aber nicht sein. Man kann dafür auch eine Folgenahrung nehmen oder abgepumpte Muttermilch. Hat das Kind den ersten Geburtstag hinter sich, sind 200 bis 400 ml Kuhmilch pro Tag akzeptabel. Da sollten dann aber neben der Milch an sich auch Milchprodukte wie Joghurt und Käse reingerechnet werden. In 100 g Naturjoghurt oder einer Scheibe Käse stecken zum Beispiel jeweils 100 ml Milch, die zählen dann auch.

Nach dem ersten Geburtstag sind 200 bis 400 ml Kuhmilch pro Tag für Kinder völlig in Ordnung | Foto: mdjaff, Freepik

Wie sieht es mit pflanzlichen Alternativen aus? Sind diese für Kleinkinder geeignet?

Pflanzliche Alternativen sind ja im Moment sehr populär. Vor allem, weil man bei der Herstellung eine geringere Umweltbelastung erwartet. Aber von den Nährstoffen her sind Pflanzendrinks nicht mit Kuhmilch vergleichbar und manche haben ein recht ungünstiges Nährstoffprofil. Einige Produkte sind sogar stark gezuckert.

Verpasst mein Kind etwas, wenn ich ihm keine Kuhmilch vorsetze?

Ich will Kuhmilch nicht verteufeln. Sie ist ein wertvolles Lebensmittel und enthält wichtige Nährstoffe wie beispielsweise sehr gut verfügbare Mengen an Kalzium, das für die Knochenentwicklung wichtig ist. Aber Kuhmilch ist dadurch kein unverzichtbares Lebensmittel. Man kann den Kalziumbedarf auch anderweitig decken.

Wie denn genau?

Die wichtigste Quelle ist ziemlich simpel, das ist die richtige Auswahl des Trinkwassers. In der Münchner Region, wo ich zu Hause bin, ist das Leitungswasser beispielsweise sehr kalziumreich und stellt daher eine gute Kalziumquelle dar. Bei Flaschenwasser empfiehlt sich ein Blick aufs Etikett, dort sind die Kalziummengen angegeben und man sollte sich für die Sorte mit dem höchsten Kalziumgehalt entscheiden. Hartkäse wie Emmentaler ist auch eine sehr gute Kalziumquelle.

Experte

Prof. Dr. Berthold Koletzko

ist Gründer und Erster Vorsitzender des Sitzungsvorstandes der Stiftung Kindergesundheit sowie Vorsitzender der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München leitet er die Abteilung „Stoffwechselstörungen und Ernährungsmedizin“.

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