
„In Schulautomaten stecken Suchtstoffe!“
Katrin Hrubesch
Diabetes Typ 2 wurde früher auch „Altersdiabetes“ genannt. Doch inzwischen leiden immer mehr Kinder unter der chronischen Stoffwechselstörung – laut Robert-Koch-Institut sind es in Deutschland jährlich rund 200 der 11- bis 17-Jährigen, Tendenz steigend. Internist und Diabetes-Experte Prof. Dr. Johannes Jacobi sprach mit brodzeit.de über die Ursachen dafür.
Was halten Sie davon, dass die Automaten in Schulen mit Softdrinks, Schorlen und Süßigkeiten gefüllt sind?
Die ständige Verfügbarkeit ist ein Problem und an einer Schule hat so etwas nichts zu suchen. Idealerweise nehmen die Kinder von zuhause ein Vollkornbrot mit und aufgeschnittene Rohkost oder einen Apfel. Aber seien wir ehrlich: Viele Kinder und Jugendliche bekommen einfach ein paar Euro in die Hand gedrückt und sollen sich irgendetwas kaufen.
Den Versuchungen im Automaten zu widerstehen, fällt Kindern da natürlich schwer…
Deshalb sehe ich es sehr kritisch, wenn Softdrinks oder Süßigkeiten an Schulen angeboten werden. Es trägt nicht zum Erlernen eines gesunden Essverhaltens bei. Süße Getränke sollen ja nicht in erster Linie den Durst löschen. Zucker ist ein Suchtstoff! Und je mehr Zuckerprodukte man in so einen Automaten gibt, desto öfter wird zugegriffen. Explizit warnen möchte ich auch noch vor Energydrinks. Sie sind nicht nur wegen ihres hohen Zuckergehalts gesundheitsgefährdend, sondern auch wegen der Aufputschmittel. Diese machen ebenfalls süchtig. Wer sich einmal daran gewöhnt hat, kommt nur schwer wieder davon los.
Sind diese süßen Produkte daran schuld, dass immer mehr Kinder an Diabetes Typ 2 erkranken?
Zu viel Zucker schädigt die Zellen und greift den Stoffwechsel an. In meiner Praxis merke ich immer wieder, dass es eine Menge Aufklärungsbedarf gibt. Klar wissen die meisten, dass Zucker irgendwie dick und krank macht, aber das war es dann meistens auch schon.
Was passiert im Körper bei einem zu hohem Konsum von Softdrinks, Fertigprodukten, Süßigkeiten und Co.?
Er entwickelt eine Insulinresistenz. Ich erkläre das gerne mit dem Schlüssel-Schloss-Prinzip: Insulin ist wie ein Schlüssel, der die Tür zur Zelle öffnet, damit der Zucker hineingelangen und in Energie umgewandelt werden kann. Bekommt der Körper dauerhaft zu viel Zucker, werden die Zellen geschädigt und weniger empfänglich für das Insulin. Sprich: Der Schlüssel passt nicht mehr ins Schloss, die Tür bleibt zu und der Zucker im Blut. Als Folge produziert die Bauchspeicheldrüse immer neue Insulinschlüssel. Doch auch die schließen irgendwann nicht mehr auf. Das Fatale ist, dass dieser Prozess schleichend und unbemerkt abläuft. Betroffene denken: Alles super bei mir, ich fühle mich gesund. Und auch die Zuckerwerte sind normal. Dabei ist die Bauchspeicheldrüse maximal gestresst, weil sie gegen die verschlossenen Türen anarbeitet. Der chronisch erhöhte Insulinspiegel hemmt den Fettabbau, der Körper wird gemästet, die Insulinresistenz verschlechtert sich weiter. Dies mündet in einem Teufelskreis, in dem schließlich die Insulinresistenz in einen manifesten Diabetes mellitus übergeht.
Kann man aus diesem Teufelskreis aussteigen?
Ja, durch eine Ernährungsumstellung und mehr Bewegung. Wenn die Insulinresistenz allerdings so weit fortgeschritten ist, dass der Körper nicht mehr still vor sich hin leidet, sondern ein Typ-2-Diabetes vorliegt, ist das Kind in den Brunnen gefallen und es werden zusätzlich Medikamente benötigt. Dies bedeutet, dass wir Mediziner heutzutage viel frühzeitiger die Patienten erkennen müssen, die an einer Insulinresistenz, aber noch nicht an einem manifesten Diabetes leiden, um die Krankheit präventiv zu verhindern.
Funktioniert das denn?
Nicht wirklich. Während für Folgekomplikationen und die medikamentöse Behandlung des Diabetes mellitus Unsummen ausgegeben werden, wird zu wenig in die Prävention investiert. Viele Patienten sind der Ansicht, dass es die Medikamente des Arztes schon richten werden. Diese wirken jedoch nur unterstützend, eine konsequente Ernährungsumstellung und regelmäßige körperliche Bewegung sind weitaus wichtiger und langfristig der Schlüssel zum Erfolg. 5 000 bis 10 000 Schritte am Tag sind ideal, aber auch schon weniger Bewegung macht die Zellen wieder für Insulin empfindlicher. Doch man muss das wirklich wollen. Ich habe einen Patienten, der mit zwölf Jahren die Diagnose Typ 2-Diabetes erhielt und die empfohlenen Maßnahmen trotz diverser stationärer Aufenthalte in Diabetesfachkliniken nicht dauerhaft umsetzen kann. Folgekomplikationen und eine verkürzte Lebenserwartung sind hier vorprogrammiert.

Es gibt Ärzte, die empfehlen bei Diabetes Typ 2 eine Ketogene Ernährung, bei der man fast vollständig auf Kohlenhydrate und Zucker verzichtet. Wie stehen Sie dazu?
Abgesehen davon, dass man das nie allein, sondern nur unter ärztlicher Begleitung machen sollte, empfehle ich das nicht, da die wissenschaftlichen Langzeitdaten hierzu noch recht spärlich sind. Für Kinder, Schwangere sowie Patienten mit gestörter Fettverdauung oder Leberfunktionsstörung ist diese Diät nicht geeignet.
Was raten Sie Patienten mit Diabetes Typ 2 – auch Kindern?
Eine Low-Carb-Ernährung, also eine Ernährung mit wenig Kohlenhydraten, vor allem wenig rasch resorbierbaren Kohlenhydraten. Bei begleitender Fettleber, vor der auch übergewichtige Kinder nicht gefeit sind, empfehle ich das Leberfasten nach Dr. Worm, eine spezielle Diät, die ebenfalls Low-Carb beinhaltet. Insgesamt sollte die Ernährungsumstellung sanft und ausgewogen sein. Es bringt nichts, den Patienten alles Mögliche zu verbieten, vielmehr muss das Bewusstsein für eine gesündere Ernährung dauerhaft geschärft werden. Es darf auch ruhig mal „gesündigt“ werden.
Sie halten also nichts von strengen Hauruck-Diäten?
Für eine langfristige und anhaltende Gewichtsabnahme rate ich zu einer Gewichtsreduktion von einem halben Kilo pro Monat. Vielen Patienten ist das viel zu wenig und sie schauen mich entgeistert an. Aber wer so abnimmt, ist eher in der Lage, Kilos langfristig loszuwerden und das Gewicht dann auch zu halten, ansonsten sehe ich oft den Jo-Jo-Effekt.
Was empfehlen Sie generell Familien, die sich gesund ernähren wollen?
Eine ausgewogene, mediterrane Kost: viel frisches Gemüse, Salate, Obst mit wenig Fruchtzucker in Maßen, gesunde Fette, Nüsse, Samen, etwas Fisch und wenig Fleisch. Auch Kräuter und gute Gewürze sind wichtig, sie haben gesundheitsfördernde Wirkstoffe. In Zahlen übersetzt heißt das: 40 bis 50 Prozent Kohlenhydrate, 30 Prozent Fett und 20 bis 25 Prozent Eiweiß. Vor allem die rasch resorbierbaren Kohlenhydrate sollte man so oft wie möglich vermeiden. Alles, was schnell ins Blut geht, führt zu einer zu blitzartigen Insulinausschüttung, und das stresst die Bauchspeicheldrüse.

Was zählt zu den rasch absorbierbaren Kohlenhydraten?
Zum Beispiel Weizenprodukte wie Weißbrot oder normale Nudeln sowie weißer Reis. Stattdessen sollte man lieber zu Vollkornnudeln, Vollkornreis oder Dinkel-Vollkornbrot greifen. Aber auch hier gilt: Wer sich prinzipiell gesund ernährt und ausreichend bewegt, der darf auch mal weniger gesunde Sachen essen.
Spielt es auch eine Rolle, wann man was isst?
Viele Menschen gehen morgens ohne Frühstück aus dem Haus, arbeiten hart und hauen sich dann abends den Bauch voll, am besten noch ein Bier oder ein Glas Wein dazu. Dann ist die Leber die ganze Nacht beschäftigt, Zucker zu speichern, statt ihn zu verbrennen. Ich empfehle abends möglichst wenig Zucker, also auch keinen Alkohol. Für Erwachsene und Kinder gilt: Wenn möglich wenig Brot, kein Obst, keine Nudeln, keine Kartoffeln und kein Reis. Gut ist beispielsweise ein Salat mit Putenbrust oder ein Gemüseauflauf mit Fisch.