Lutz Geißler und Christina Weiß gründeten 2022 ihre eigene Hamburger Bäckerei „Brotkumpels“. Dort backen sie nach traditionellen Rezepten | Foto: Brotnomaden GmbH

Gutes Brot verzweifelt gesucht

Autorin

Anna Butterbrod

Was kommt heraus, wenn sich ein Geologe und eine Steuerfachfrau zusammentun? In diesem Fall etwas verdammt Leckeres! Lutz Geißler entdeckte schon vor vielen Jahren seine Leidenschaft fürs Backen und gilt inzwischen als deutscher „Brotguru“: Seine Backkurse sind schnell ausgebucht und seine Bücher verkaufen sich wie warme Semmeln.

Christina Weiß ist privat und geschäftlich seine Partnerin: Sie machte mit Mitte 40 noch eine Ausbildung zur Bäckerin und holte sich den Meistertitel. Die beiden geben inzwischen gemeinsam Kurse und betreiben in ihrem Wohnhaus im Hamburger Stadtteil Sasel, wo sie als Patchworkfamilie zusammen mit ihren sieben Kindern leben, seit März 2022 die Stadtteil-Bäckerei „Brotkumpels“. Dort verkaufen sie traditionell hergestellte Backwaren ohne jegliche Zusatzstoffe.

Diesen Anspruch haben viele ihrer Kolleg:innen nicht. Für ihr neues Buch „Auf der Suche nach gutem Brot“ (ZS Verlag) reisten Lutz Geißler und Christina Weiß drei Wochen quer durch Deutschland und probierten sich in 70 Bäckereien durchs Sortiment. Im Interview mit BRODZEIT berichten sie von echten Horror-Erlebnissen und erklären, worauf man beim Kauf von Brot achten sollte.

Warum haben Sie sich überhaupt auf die Suche nach gutem Brot gemacht? Ist das in Deutschland so selten zu finden?

Christina Weiß: Leider ja. Wir halten unterwegs immer die Augen offen nach Brot. Egal, wo wir sind – wenn wir eine Bäckerei sehen, gehen wir rein, gucken und testen. Jetzt wollten wir das mal ganz konzentriert machen, um einen Überblick zu bekommen, wie‘s in Deutschland aussieht. Unsere Idee war, auf unserer Reise mit dem Zug zufällig auszusteigen, Stichproben zu machen und zu schauen, was man dann bekommt.

Es gab also keine vorgegebene Route?

Lutz Geißler: Nein. Start war am Hauptbahnhof in unserer Heimatstadt Hamburg. Dort haben wir auf die Anzeigetafel mit den Abfahrten geschaut und weil der Zug nach Bremen der einzige war, der weder Verspätung noch einen Gleiswechsel hatte, haben wir den genommen. Auf diese Art ging es immer weiter.

Christina Weiß: Die einzige Vorgabe, die wir hatten: An unserem nächsten Ziel musste es einen Bahnhof, ein Hotel oder eine Pension und mindestens eine Bäckerei geben. Vor Ort haben wir Google Maps angeschmissen, das Stichwort „Brot“ eingegeben und alle Treffer abgeklappert, die uns das Handy angezeigt hat.

Deutschland gilt als Brotland. Die Deutsche Brotkultur zählt seit 2014 zum Weltkulturerbe. Was läuft Ihrer Meinung nach trotzdem schief?

Lutz Geißler: Einiges. Das größte Problem ist, dass die meisten Bäcker:innen verlernt oder sogar nie gelernt haben, wie Backen wirklich funktioniert. Seit den 50er Jahren schleicht sich die Industrie mit Technik und Fertigprodukten in die Bäckereien ein. Sobald man das Handwerk vereinfacht, verliert man das Wissen darüber. Es gibt kaum noch Berufs- und Meisterschulen, an denen die Grundschritte gelehrt werden. Stattdessen lernt der Nachwuchs, wie man mit Fertig-Sauerteig in möglichst wenig Zeit möglichst viel Brot herstellt.

Christina Weiß: Die elementaren Basics fehlen. Auszubildende wissen nicht mehr: Wie arbeite ich wirklich nur mit Mehl, Wasser und Salz? Wie reagiere ich, wenn die Ernten und damit das Mehl sehr unterschiedlich ausfallen? Welche Stellschrauben habe ich da? Das wird vielleicht mal theoretisch gestreift, aber mehr auch nicht.

Das echte Handwerk würden junge Bäcker:innen oft gar nicht mehr lernen, sagt Lutz Geißler | Foto: Nadya Spetnitskay, Unsplash

Erhält Brot in Deutschland nicht mehr genug Wertschätzung?

Christina Weiß: Die meisten sehen Brot lediglich als Unterlage, der Geschmack geht in Kombination mit Schinken, Wurst oder Käse völlig unter. Dabei sollte man Brot öfter einmal pur verkosten. Dann merkt man auch, ob einem eine Sorte wirklich schmeckt oder nicht. Immerhin gibt es eine positive Entwicklung: Immer mehr Menschen entdecken Brot und das Bäckerhandwerk wieder für sich. Übers Land verteilt eröffnen kleine Bäckereien, die auch so arbeiten wie wir in unserer Backstube.

Wo findet man in Deutschland das beste Brot?

Lutz Geißler: In Gegenden, wo es kleine Bäckereien gibt. Also weniger im Osten Deutschlands. Denn die Bäckerbranche wurde östlich der Mauer noch stärker industrialisiert als im Westen, das haben wir während unserer Reise noch immer gespürt. Dort stehen hauptsächlich größere Bäckereien. Die Chancen, gutes Brot zu finden, steigt in Süddeutschland drastisch an. Da haben wir die meisten guten Beispiele gefunden.

Christina Weiß: Im Süden existieren noch viele alteingesessene Handwerksbetriebe. Die Landwirtschaft ist kleinteiliger und es gibt deutlich mehr kleinere Mühlen. Dadurch wird es leichter, gemeinsam an einem guten Produkt zu arbeiten.

Wie sollte ein gutes Brot schmecken?

Christina Weiß: Es gibt so viele verschiedene Sorten, dass ich keinen generellen Geschmack beschreiben kann. Aber schon, wenn man es riecht, sollte man Lust haben, reinzubeißen. Und diese Lust sollte sie nach dem ersten Bissen noch steigern.

Viele Brote riechen nach nichts…

Christina Weiß: Und das ist manchmal noch die beste Variante.

Lutz Geißler: Bei unseren Verkostungen drücken wir das angeschnittene Brot zuerst an die Nase und einmal zusammen, damit die ganze Luft aus den Poren raus- und in die Nase reingeht. Dabei haben wir schon spannende Dinge erlebt. Der schlimmste Geruch ähnelte dem, der einem entgegenschlägt, wenn man den Siphon vom Waschbecken aufschraubt.

Was war Ihr Brot-Favorit auf der Reise durch Deutschland?

Christina Weiß: Die ersten paar Tage waren ganz gruselig. Da wurde Tiefkühlware schon zum Highlight. Darum erinnere ich mich besonders gerne an das erste gute Brot unserer Tour. Das fanden wir in einer Bäckerei im Saarland. In dem Moment war mir egal, ob Roggen, Weizen oder Dinkel drin steckte…

Lutz Geißler: … es war einfach fantastisch! Genau wie bei einer Bäckerin auf der Schwäbischen Alb. Die hatte geschlossen, als wir vorbeikamen. Als wir durchs Schaufenster schauten, war drinnen alles dunkel. Da huschte plötzlich ein Schatten im Laden vorbei und eine Frau kam zur Seitentür heraus. Sie sagte: „Wer hier so lange intensiv reinschaut, muss Bäcker sein.“ Wir haben uns vier Stunden lang mit ihr bei Kaffee und Tee unterhalten, und sind einige Zeit später extra noch einmal vorbeigekommen, um ihre Backwaren zu probieren. Die waren toll. Im Allgäu gab‘s noch einen spontanen Glücksgriff. Wir hatten eine halbe Stunde zum Umsteigen und sind kurz vom Bahnhof in den Ort rein. Dort haben wir auf die Schnelle eine großartige Bäckerei gefunden. Das waren unsere drei Höhepunkte, der Rest war leider eher schwach.

Mmmmmhhhhh… Frisch gebackenes Brot sollte gut duften | Foto: Pexels

Das ist aber ein trauriges Ergebnis bei 70 Bäckereien, die Sie besucht haben.

Lutz Geißler: Wir hoffen, dass unser Buch die Menschen zum Nachdenken anregt. Einerseits die Bäcker:innen, andererseits die Kund:innen. Denn auch sie sind für den aktuellen Zustand mitverantwortlich.

Christina Weiß: Wenn sie nachfragen und kritischer sind, gibt‘s für die Bäcker:innen einen Anreiz, anders zu arbeiten. Kund:innen könnten sagen: „Das schmeckt mir nicht.“ Oder: „Ich möchte genau wissen, was drin steckt und wenn ich das nicht erfahre, kaufe ich es nicht.“ Kund:innen haben die Macht, etwas zu verändern.

Lutz Geißler: Aber dafür man muss natürlich wissen, wonach man fragen muss. Auch dafür ist unser Buch gedacht. Am Anfang wird erklärt, was ein gutes Brot ausmacht, wie es aussehen, riechen und schmecken muss.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Christina Weiß: Mehr Transparenz. Bäcker:innen müssen weder angeben, dass sie Tiefkühlware verwenden, noch deklarieren, welche Bestandteile in ihren Backwaren stecken. Wir würden uns wünschen, dass jeder erfährt, was er vor sich hat. Und dann fundiert entscheiden kann, ob er es kaufen möchte oder nicht.

Lutz Geißler: Wenn man zum Beispiel ein Tankstellen-Brötchen kauft und das fast von alleine wegfliegt, weil es riesig ist und kaum Gewicht hat, dann sind definitiv technische Enzyme enthalten.

Was sind technische Enzyme?

Lutz Geißler: Die werden dem Mehl beigemischt, unter anderem für ein gutes Volumen. Es gibt kaum Bäcker:innen, die im Kleingebäckbereich ohne arbeiten. Dabei ist die Wirkung von technischen Enzymen noch kaum erforscht. Enzyme sind hochallergene Stoffe und die wenigen Studien, die es gibt, besagen, dass sie ein Risiko darstellen und man damit aufpassen sollte. Bäcker können durch die Verarbeitung des Mehls Asthma entwickeln und auch die Gesundheit von Kund:innen kann auf lange Sicht in Mitleidenschaft gezogen werden.

Christina Weiß: Wir sagen: Wenn man vernünftig backt, braucht man keine technischen Enzyme, sondern nur Mehl, Wasser, Salz und vielleicht noch ein bisschen Hefe. Wir sollten Zutaten weglassen, die wir nicht hundertprozentig verstehen.

Wann sollte man beim Kauf noch hellhörig werden?

Lutz Geißler: Bei Broten mit bunten Banderolen oder besonders klangvollen Namen, wie zum Beispiel „König Ludwig Brot“, kann man davon ausgehen, dass es sich um eine Backmischung mit allerhand Zusatzstoffen handelt. Die erleichtert den Bäcker:innen den Alltag: Sie geben Wasser und Hefe dazu und haben einen Teig, dem es egal ist, ob er eine halbe Stunde länger in der Backstube rumsteht als geplant. Man braucht weniger Personal und weniger Fachwissen.

Christina Weiß: Personal und Arbeitszeit sind teuer. Ich kann nicht handwerklich arbeiten und dann Brötchen für 30 Cent verkaufen. Lutz und ich arbeiten nur zu zweit und machen alles händisch. Wir wiegen jeden einzelnen Brötchenteigling ab und schleifen ihn zweimal rund. Alles ohne Maschinen. Wenn wir den Ofen füllen, passen da 480 Brötchen rein – oder 120 Brote. Der Aufwand für die Brötchen ist natürlich viel höher! Darum ist auch klar, dass wir die teurer verkaufen müssen.

Brötchen als Luxusprodukt?

Christina Weiß: Ja, das sind sie eigentlich. Aber der Luxus, der in einem handwerklichen Brötchen steckt, wird nicht mehr wahrgenommen. Früher war es etwas Besonders, am Sonntag Brötchen zu essen. Heute geht man zwischendurch schnell in die Bäckerei und nimmt sich ein Brötchen auf die Hand mit – meist Massenprodukte, die anders riechen und schmecken als ein Brötchen von uns.

Wurden Sie auf der Reise auch positiv überrascht?

Lutz Geißler: Unser schönstes Erlebnis hatten wir im Schwarzwald. Dort lernten wir ein Ehepaar kennen, das einen uralten Holzbackofen aus dem 18. Jahrhundert in der Scheune stehen hat, voller Spinnweben – wie im Dornröschenschlaf. Den acht mal zwei Meter großen Ofen hat die Familie früher zur Selbstversorgung genutzt, aber seit 20 Jahren ist er nicht mehr befeuert worden. Wir haben uns in diesem Sommer verabredet, um vor Ort miteinander Brot zu backen. Eine schöne Nachwirkung dieser Reise.

Im Buch finden Leser über 50 Rezepte. Wie schwer ist es, sein Brot selber zu backen?

Christina Weiß: Grundsätzlich ist es nicht kompliziert. Ein gut schmeckendes Brot bekommt jeder hin.

Lutz Geißler: Das, was schiefgehen kann, ist meist ästhetischer Natur. Der Geschmack wird übers Rezept festgelegt und das passt in der Regel.

Der Sauerteig ist Lutz Geißlers Spezialität. Er lässt ihm viel Zeit zum Reifen | Foto: Pexels

Sie haben sieben Kinder. Können die alle backen?

Lutz Geißler: Jedes Kind kann backen. Dafür braucht es nur den Willen. Ein Brot kommt immer dabei heraus, wenn das Rezept stimmt. Die Frage ist eher: Wollen sie backen? Und das hängt sehr von der Entwicklungsphase ab, in der sie jeweils stecken. Die Jüngeren backen gern Brot, ganz gleich, welches genau. Mit der Pubertät geht das verloren, aber spätestens mit dem eigenen Haushalt oder eigenen Kindern wird das Interesse bestimmt wieder aufflammen.

Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach, dass Kinder backen lernen? 

Lutz Geißler: Sehr wichtig. Heute lernen Kinder weder zu Hause noch in der Schule, wie das entsteht, was sie täglich essen – und wenn, dann nur auf dem Papier oder in Videos. Es ist wichtig, dass sie es praktisch tun. Nur so prägt es sich ein und nur so entsteht ein Bewusstsein für den Wert eines Lebensmittels. Brot ist ein sehr einfaches Lebensmittel und eines, das wirklich jedes Kind mag, wenn es gut gemacht ist.

Wie kann man Kinder am besten ans Brotbacken ranführen? 

Lutz Geißler: Am besten geeignet ist Roggensauerteigbrot. Der ist eine „Matschepampe“, die Kindern Spaß macht und es kann beim Mischen und Formen nichts schiefgehen. Es kommt immer ein gutes Brot heraus. Die Eltern sollten das Rezept natürlich schonmal gebacken haben und wissen, wie man mit Sauerteig umgeht. Kinder wissen selbst gebackenes Brot (vor der Pubertät) sehr zu schätzen. Unsere Kinder haben in dieser Phase auch ganz kreativ eigene Rezepte entwickelt und mit unserer Unterstützung gebacken.

Welches Brot gibt’s bei Ihnen beim Familienfrühstück?

Christina Weiß: Wenn nach einem Testbacken was übrig ist, was weg muss, gibt‘s eben das. Ansonsten lieben alle Brötchen und haben ganz unterschiedliche Wünsche. Das ist aber auch kein großes Problem, denn wir haben meist mehrere Sorten selbstgebackener Brötchen tiefgefroren, so dass man aus jeder Tüte ein bisschen was rausnehmen kann, um ein gemischtes Buffet zu zaubern.

In „Auf der Suche nach gutem Brot“ (ZS Verlag) erzählen Lutz Geißler und Christina Weiß von den Begegnungen und Kostproben auf ihrer Reise durch Deutschland
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