In ihrer Zeit als „Schäfer-Azubine“ schloss Bärbel Schäfer ihre felligen Zöglinge sehr ins Herz | Foto: Nicci Kuhn

„Mütter sollten kein schlechtes Gewissen haben“

Autorin

Anna Butterbrod

Habt ihr damals auch so begeistert eingeschaltet wie ich? In den 90er Jahren war Bärbel Schäfer, 59, Deutschlands Talkshow-Queen im Fernsehen, heute hat sie eine eigene Show im Radio (hr3, sonntags von 10 bis 12 Uhr) und schreibt erfolgreich Bücher. Ihr jüngstes heißt „Eine Herde Schafe, ein Paar Gummistiefel und ein anderer Blick aufs Leben“ (Kösel Verlag) und sie geht damit auch auf Lesetour. Es handelt davon, wie die gebürtige Bremerin, die mit ihrem Mann Michel Friedman, 67, sowie ihren Söhnen Samuel, 18, und Oscar, 15, in Frankfurt lebt, über ein Jahr lang einen Schäfer bei seiner Arbeit begleitete. Warum Sie auf diese Idee kam und wie sich dadurch ihr Leben veränderte, hat sie mir im Interview verraten.

Was war der Auslöser für dieses Herzensprojekt?

Mein Arbeitsalltag findet eher in technisch aufgeladenen Räumen statt: im Radio- oder Fernsehstudio, auf Bühnen… In einer Lebensphase, als ich Trauer verarbeitete, habe ich die Natur als starke Kraftquelle empfunden. Jetzt hatte ich seit Jahren das Gefühl, wir haben uns entfernt. Mir fehlte dieser Kontakt. Und ich konnte eine Distel kaum von einem Löwenzahn unterscheiden.

Sie waren über ein Jahr lang jeden Samstag bei einem Schäfer und seiner Herde. Da fällt viel Zeit für die Familie weg. Was hat die dazu gesagt?

Ich habe ansonsten auch flexible Arbeitszeiten und bin sonntags im Studio. Daher kennen meine Kinder das. Auch mein Mann hat keinen Nine-to-five-Job. Ich spreche neue Projekte nicht unbedingt mit meinen Kindern ab, aber dieses natürlich schon, weil es das Familienleben stark beeinflusst hat. Meine Kinder waren erstmal neugierig. Sie haben sich gewundert und fragten: „Wie willst du denn bei den ruhigen Schafen deine Energie runterfahren?“ Schafe chillen – ich leider selten. Meine Kinder kennen meine Leidenschaft des Schreibens, sie haben sich keine Sorgen gemacht. Familienzeit hat immer Priorität.

Als Mütter haben wir schnell ein schlechtes Gewissen, wenn wir Zeit von der Familie abzwacken. Ging Ihnen das auch so?

Mütter sollten kein schlechtes Gewissen haben. Es war meine Sehnsucht und ich habe geguckt, wie ich die in den Alltag packen kann. Ich habe ja meine Kinder nicht ohne sie zu stillen an irgendeiner Autobahnraststätte ausgesetzt. Das sind Teenager, die sich durchaus alleine ein Brot schmieren können. Mütter machen sich natürlich immer Sorgen. Aber es gibt ja auch noch einen Vater, und der musste sie dann am Wochenende eben zu ihren Sportveranstaltungen fahren, Familienzeit schenken und sie anfeuern.

Im Buch schreiben Sie, dass Sie durch die Stunden auf der Weide ruhiger und friedlicher wurden. Warum war das so?

In der Natur fährt der Puls runter und man sieht mehr, als wenn man mit Vollgas durchs Leben rast. Geduld war in dieser Zeit auch extrem wichtig. Es braucht alles seine Zeit – zum Beispiel, wenn man einen mobilen Zaun aufrollt, der mehrere hundert Meter lang ist, oder eine Herde umweidet und warten muss, bis alle endlich ankommen. Da war es für mich schon eine Herausforderung, den Rhythmus zuzulassen, den die Natur vorgibt. Uns Eltern kann es oft auch nicht schnell genug gehen. Wir fragen: „Warum fallen die Zähne nicht aus? Warum dauert das so lange mit der Zahnspange? Und wie oft muss ich eigentlich noch sagen, dass man sich abends die Zähne putzen muss?“ Manchmal entwickeln sich Dinge anders, als wir uns das wünschen. Ich habe gelernt, loszulassen und der Langsamkeit die Tür aufzuhalten.

Haben Sie Ihre Jungs auch mal mitgenommen zu den Schafen?

Mein Experiment hat sie neugierig gemacht, es gab einen ganz neuen Austausch. Meine Söhne stellten viele Fragen: „Was sind eigentlich Düngepellets? Wie schert man ein Schaf? Kann ich auch mal die Bäume mit zurückschneiden und einen Zaun setzen oder Klauen schneiden?“ Und dann wollten sie natürlich die Schafe kennenlernen, von denen ich so viel erzählt habe. Es gibt das kleine schwarz-weiße, das ist der Drängler oder Molly, die Liebesbedürftige. Meine Jungs sind Stadtkinder. Sie können die U-Bahn nutzen, mit dem Fahrrad zum Fußballplatz fahren oder zum Schwimmen, sich mit Freunden verabreden. Landgeruch und Sauerstoffschock – das war neu für sie.

Hatten die beiden immer Lust darauf?

Nicht unbedingt, aber da muss man eben hartnäckig bleiben und sagen: „So, heute ist mal Landtag!“ Man hat ja auch bei Teenagern noch Einfluss und den muss man manchmal geltend machen. Vielleicht wehren sie sich und haben am Anfang schlechte Laune. So, als wenn man sie ins Museum mitnehmen will. Aber diese Erfahrungen sollte man ihnen nicht entgehen lassen, nur weil sie mal maulen oder Nein sagen. Man sollte sich und seinen Kindern andere Welten öffnen und neugierig bleiben. Das hält wach und gibt ganz viel Energie zurück.

Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach für Familien, den Kontakt zur Natur zu suchen?

Für das Buch war ich mit einem Vogel- und Fledermausexperten unterwegs, der auch in Schulen geht und Glühwürmchen-Führungen durchführt. Er sagt, dass eigentlich die Eltern das Problem sind. Die hängen genauso vorm iPad und streamen irgendwelche Serien – und Kinder kopieren das. Wenn Eltern sich nicht durchsetzen und sagen: „Heute ist ein laptopfreier Tag, wir gehen ans Meer, ins Moor, in den Wald oder auf eine Wiese“, dann lernen die Kinder das nicht. Eltern müssen Vorbilder sein. Wer einmal Glühwürmchen hat tanzen sehen, weiß, wie wertvoll solche Erfahrungen sind. Das ist etwas ganz Besonderes. Ein Game zu zocken ist dagegen nichts Besonderes, das berührt auch nicht das Herz. Es ist wichtig, dass Eltern das ihren Kindern vermitteln.

Warum erkennen viele das nicht?

Mittlerweile sind ja so viele Eltern ängstlich, dass ihre Kinder eine Bakterie in den Mund bekommen oder dass Fingernägel und Klamotten dreckig werden. Eltern müssen auch mal zulassen, dass Kinder sich schmutzig machen. Ich habe während meiner Zeit auf dem Land zig Dorfkinder erlebt, die auf Bäume klettern und Holz zersägen. Das sind Skills, über die wir als Städter manchmal lächeln. Aber die sind ganz, ganz wichtig. Seit der Pandemie haben viele Kinder zu viel Gewicht drauf, weil sie sich zu wenig bewegen und bestimmte Dinge an der frischen Luft gar nicht mehr kennen.

Die Moderatorin lernte, dass Herden oft genau wie Familien funktionieren, in denen alle aufeinander aufpassen | Foto: Nicci Kuhn

Und wie macht man das, wenn man sich nicht jeden Samstag freischaufeln kann?

In jeder Region und jedem Landstrich vergeben Schäfer Patenschaften für ihre Tiere. Je nachdem, wie aktiv der Schäfer ist, darf man dann schon mal bei verschiedenen Tätigkeiten helfen und einen Einblick in ein ganz anderes Leben erhalten. Und warum lässt man sein Kind nicht mal das Schulpraktikum in einem landwirtschaftlichen Betrieb machen? Es müssen ja nicht alle IT-Fachleute werden. Auch Handwerker oder Schafscherer werden gesucht. Die haben echte Nachwuchssorgen.

Haben die Schafe Ihre Einstellung zur Ernährung beeinflusst?

Ich achte dadurch mehr auf die Umwelt. Ich versuche, wenig in Plastik eingeschweißte Waren zu kaufen und gehe lieber einmal mehr los, als zu viel einzukaufen, das dann vielleicht schlecht wird, weil mein Mann beruflich unterwegs ist und ich das alles gar nicht verkochen oder essen kann. Aber ich bin keine Ultra-Veganerin geworden, die keine Lederschuhe mehr trägt. Mir ist wichtig, dass Lebensmittel keine langen Transportwege haben. Es müssen keine Tiere aus Polen zu uns kommen, nur weil wir super billiges Fleisch essen wollen. Ich verstehe die Diskussion um die Preise für Fleisch. Aber wenn Tiere in einem guten Umfeld aufwachsen, mit Auslauf und Kontakt zur Natur, wenn man sie nicht innerhalb von drei Wochen mit Super-Genfood zu einem ausgewachsenen Schwein oder Huhn hochpäppeln will, dann hat das seinen Preis.

Können Sie Ihre Familie für Obst und Gemüse begeistern?

Das wäre schön, es könnte mehr Gemüse sein. Ich schaffe es noch nicht, bestimmte Sachen gar nicht mehr zu kaufen, weil auch ich gerne mal Schokolade oder Fruchtgummi konsumiere. Meine Kinder kennen leider mittlerweile alle Geheimverstecke.

Hat sich Ihr Alltag nach diesem Experiment nachhaltig verändert?

Was auf jeden Fall funktioniert, ist mein Andocken an die Natur. Das grüne Band ist wieder da. Es wird nicht so gepflegt, wie ich mir das eigentlich wünschen würde. Aber meine Natursehnsucht ist noch mal richtig getriggert worden. Ich weiß, die Landwirtschaft ist ein schwerer Beruf und ich kann in diesem Leben keine Tierwirtin mehr werden. Aber ich spüre, dass wir vorsichtig mit der Natur umgehen müssen, weil sie so kostbar ist – auch für uns als Kraftquelle.

Käme es für Sie in Frage, aufs Land zu ziehen?

Ich kenne viele, die das gemacht haben. Aber ich glaube, ich wäre fast ein bisschen zu schissig fürs Land. Ich habe Angst im Dunkeln und wenn ich an einem düsteren Novembertag in ein einsames Haus im Wald käme, würde ich tausend Tode sterben oder bräuchte einen Hütehund wie Emil aus dem Buch. Ich liebe es außerdem, ins Theater oder Kino zu gehen und das wäre dann schwierig. Man verballert unglaublich viel CO2, in dem man in die Stadt reinpendelt. Hier in der Stadt fahre ich alle Wege mit dem Fahrrad und bin dadurch umweltschonender unterwegs.

Mit dem Schaf-Experiment haben Sie sich einen Traum erfüllt. Machen wir Mütter das zu selten, mal zu fragen: Was will ich eigentlich?

Wir sind immer für andere da. Ich habe eine Mutter mit Mitte 80, ich habe Kinder, die noch nicht ganz aus dem Haus sind. Ich habe Freundinnen, Cousinen und Kolleginnen, sowie einen Mann, die alle Aufmerksamkeit brauchen. Wir sind für alle da und schenken uns selbst am wenigstens Zeit. Dabei ist das so wichtig. Zu gucken, was sind meine Bedürfnisse, wo habe ich Wünsche und Sehnsüchte? Man sollte ab und zu die Notbremse ziehen und sich Ich-Zeit schenken – ohne schlechtes Gewissen.

Nach Ende ihres Experiments hat Bärbel Schäfer die Tiere ganz schön vermisst. Sie will sie bald wieder besuchen | Foto: Nicci Kuhn

Sie werden im Dezember 60. Gehen Sie nach dieser Erfahrung anders ins nächste Lebensjahr?

Mein Blick aufs Leben ist generell optimistisch. Ich werde mich weiterhin der Kommunikation widmen, schreiben und moderieren. Um herauszufinden: Wie meistern wir Menschen dieses eine Leben, das wir haben, mit all den Schwierigkeiten und Steinen, die uns immer wieder in den Weg geworfen werden? Ich will weiter genau hinschauen in andere Welten und auch mal eintauchen. Ich würde jedem raten, nicht nur in der eigenen Bubble zu leben. Dabei hilft mir neben meinem Job auch mein Ehrenamt.

Was genau machen Sie?

Ich bin Lesehelferin an einer Grundschule in einem Viertel, wo Eltern wenig Bücher im Regal stehen haben oder sie die deutsche Sprache erst erlernen müssen. Wo ältere Geschwister vielleicht viel zocken und dann die Kleinen denken, so verbringt man seinen Alltag.

Was ist Ihre Aufgabe als Lesehelferin?

Ich treffe an einem festen Tag in der Woche für eine Stunde lang vier Grundschüler:innen und mache Ihnen Lust auf Sprache. Ich helfe Ihnen bei den Hausaufgaben und dabei, die Sprache zu lernen. Wenn man das ein bisschen mit Humor verpackt, lernen Kinder ja auch gerne. Ich schaufel’ mir diese Zeit frei. Denn Kommunikation ist das Einzige, was uns verbindet, was Frieden stiftet, was Konflikte lösen kann und beim Ankommen in einer Gesellschaft hilft. Als Lesehelfer:in kann man sich übrigens einfach selber anbieten, alle Grundschulen suchen Verstärkung. Kinder freuen sich über Zeit und Aufmerksamkeit.

Ist schon ein neues Projekt fürs nächste Jahr in Planung?

Ich glaube, ich docke bis zum Frühling erstmal wieder bei meinen Schafen an.

Haben Sie die Tiere vermisst?

Schon. Ich hatte echte Entzugserscheinungen. Wenn du da um 5.30 Uhr auf dem Weg zur Weide mit deinem Kaffeebecher an der Ampel stehst, denkst du natürlich schon manchmal: „Was soll das?“ Aber ich bin immer erfüllt und glücklich zurückgekommen. Meine schafigen Samstage fehlen mir.

„Eine Herde Schafe, ein Paar Gummistiefel und ein anderer Blick aufs Leben“ (Kösel Verlag)
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