
„Ich habe fast fünf Jahre durchgestillt!“
Carina Zimniok
Im Nachhinein muss ich zugeben: Ich war einfach ahnungslos. Oder eher wahnsinnig naiv. Ich weiß noch genau: Geburtsvorbereitungskurs, Thema Stillen. Das hat mich gar nicht recht interessiert. Ich dachte damals, schwanger mit meiner Tochter (heute 6), ehrlicherweise nur bis zum Mega-Ereignis Geburt.
Und außerdem ging ich irgendwie davon aus, dass Stillen die natürlichste Sache der Welt ist. Was soll da nicht klappen? Stillhütchen, Milchfluss, Brustentzündung – das rauschte alles nur so vorbei. Richtig gemerkt habe ich mir nur: Stillen ist das beste für Mutter und Kind. Ja keine Pre-Milch, Teufelszeug! Ich sah mich schon selig lächelnd, meine Tochter im Arm, satt gestillt. Ich habe meiner Tochter zwei Jahre und drei Monate die Brust gegeben. Und in der ganzen Zeit gab es hunderte Situationen, in denen ich am liebsten sofort und auf der Stelle aufgehört hätte.
Schon an Tag 2 dachte ich das erste Mal ans Abstillen
Zum Beispiel an Tag 2. Eine mittelmotivierte Hebamme baute im Klinikum einen Berg aus Kissen um mich herum, auf den ich meine Tochter legen und an die Brust anlegen sollte. Von vorne, von hinten, von der Seite. Sobald ich mich einen Millimeter bewegt habe, brüllte das Kind, verrutschte der Busen oder was weiß ich. Oder ebenfalls an Tag 2, als die Krankenschwester meinte: „Ich bring jetzt ein Fläschchen, das Baby hat Hunger.“
Offenbar checkte ich dieses Stillen nicht. Mein Scheitern manifestierte sich, wir fütterten jetzt Pre-Milch zu. Heulend, unsicher, was man seinem Kind damit antut. Als wir dann endlich daheim waren, habe ich für etwa drei Monate diese eine Ecke der Couch nicht verlassen. Ich saß da, stillte bis auf wenige Pausen fürs Klo durch, starrte auf das Bücherregal gegenüber und konnte bald alle Titel auswendig. Zum Glück habe ich mich irgendwann über Regel Nummer sonstwas hinweggesetzt und ließ mich beim Stillen „ablenken“. Ich habe gelesen, dicke Wälzer. Und mein Mann hat mir Essen gemacht, in mundgerechten Stücken, weil ich ja nur auf der Couch hockte. Dazu Malzbier und kannenweise Stilltee für den Milchfluss.
Ich war völlig ausgelaugt. Entzündungen an den Brustwarzen. Rückenschmerzen. Nächtelanges Sitzen an der Milchpumpe, für ein paar Milliliter. Und trotzdem hat es nicht gereicht. Meine Tochter nahm nicht genug zu.

Eine Stillberaterin gab den entscheidenden Tipp
Zum Glück waren wir bei einer guten Stillberaterin am anderen Ende der Stadt. Ihr bester Tipp: „Geben Sie Fläschchen dazu.“ Ab da war ich entspannter und es lief. Von der einen oder anderen fiebrigen Brustentzündung abgesehen. Aber nach all den Anstrengungen war eines klar, mir und offenbar auch meiner Tochter: Jetzt ziehen wir es durch!
Wir haben überall gestillt: in der U-Bahn, im Flugzeug, auf der Parkbank, auf Familienfeiern. Na klar, warum nicht? Aber je größer mein Kind wurde, desto öfter sah ich Blicke von Fremden. Nur für einen Sekundenbruchteil, eine Art Staunen. Die Bekannte meiner Mutter sprach es mal aus: „Es sieht so komisch aus, wenn sie in dem Alter noch an der Brust sind.“ Da war meine Tochter noch kein Jahr alt. Das war mir egal.
Stillen ist – wenn es funktioniert – eine maximal einfache Geschichte. Man hat immer einen Snack dabei, das Kind beruhigt sich sofort. Bonding! Und gesund, ja gesund ist es ja auch, doppelt und dreifach. Deshalb – und auch, weil ich mir niemals vorstellen konnte, wie das Abstillen meines kleinen Mimi-Junkies funktionieren soll – habe ich weitergemacht. Bis meine Frauenärztin gesagt hat: „Jetzt ist Schluss.“ Ich war nämlich schwanger, mit meinem Sohn.
Abstillen mit dem „Aua“-Trick
Abstillen! Vor dieser Situation hat mir immer gegraut. Ich hatte oft so ein leises Gefühl, dass ich den Absprung verpasst hatte – nicht, weil ich Stillen nicht gut fand. Eher, weil alle um mich herum mit ähnlich alten Kindern längst abgestillt hatten. Manche sogar mit Stichtag, nach sechs Monaten war Schluss mit Muttermilch.
Mit meiner Tochter, die übrigens nicht in der Krippe war, konnte ich inzwischen richtige Gespräche führen. Sie war groß, hatte lange Haare, sah aus wie ein Kindergartenkind. Und trotzdem war gerade das Stillen zum Einschlafen unverzichtbar. Aber meine Gynäkologin hatte schon einen Punkt, nämlich: Mein Körper brauchte Kraft für die Schwangerschaft.
Was dann folgte, war – denkbar einfach. Ich reduzierte sanft das Stillen tagsüber. Das ging gut, weil meine Tochter eben einfach schon ein richtiges Kind war. Ich verwickelte sie in Gespräche, spielte mit ihr, gab ihr aufregende Sachen zu essen. Blieb nur das Stillen vor dem Mittagsschlaf und abends. Mittags bekam ich sie tatsächlich ins Bett, indem ich ihr wahnsinnig langweilige Bücher vorgelesen habe. Drei Tage lang, dann hatte sie die Lunte gerochen. An Tag vier brachte meine Mutter sie ins Bett. Abends stillte ich noch kurz. Nachts schlief sie längst durch.
Dann fuhren wir übers Wochenende auf einen Bauernhof am Chiemsee. Die Kleine war nach einem aufregenden Tag total erledigt. Ich erklärte ihr, dass sie nicht an der Brust trinken kann, weil ich da ein „Aua“ habe. Damit sie es mir glaubt (ja, ich kam mir ein bisschen schlecht vor, dachte aber, Schnullerfee, Christkind und Osterhase sind schließlich auch erlaubt), habe ich mir Pflaster draufgeklebt. Sie hat kurz geweint, schlief dann ein. Das war’s mit dem Stillen. Zwei Jahre, drei Monate, eine Handvoll Tage.

Bei meinem Sohn war trotz Stillerfahrung alles anders
Als mein Sohn sechs Monate später auf die Welt kam, dachte ich: Stillen – da macht mir keiner mehr was vor. So war es dann leider nicht, überhaupt nicht. Er war ganz anders als seine große Schwester, hatte null Lust auf Kuscheln und Stillen in dieser Standard-Position. Er trank nur kurz, hektisch und ausschließlich im Liegen. Das machte es unterwegs schwieriger. Auf der Fraueninsel lag ich einmal in einem bis dahin leeren Nebenraum einer Gaststätte, auf der schmalen Bank, stillend. Der fremde Gast, der kurz reinkam, wird sich seinen Teil gedacht haben. Egal.
Auch wir beide haben durchgezogen. Viel länger als gedacht, mal wieder. Als mein Sohn eins war, dachte ich schon: Der braucht das nicht mehr. Er wollte tagsüber gar nicht mehr an die Brust, nur noch abends zum Einschlafen. Langsam sehnte ich mich mal wieder nach einem Glas Wein, nach Ausgehen – ging ja schlecht, Abpumpen funktionierte immer noch nicht. Dann wurde er krank, eine üble Erkältung, und er fing so richtig an mit dem Stillen.
Ich kann mich ehrlicherweise nicht mehr an den Auslöser erinnern, warum wir dann einfach Schluss gemacht haben. Es war Zufall, ein paar Abende in Folge war er einfach so eingeschlafen. Auch er trank nachts eigentlich nicht mehr. Dann stand eine Party an, ich dachte: Jetzt oder nie! Als er dann doch nochmal nuckeln wollte, kam mein Pflastertrick wieder zum Einsatz. „Tut das sehr weh, Mama?“, fragte er, zwei Jahre, drei Monate und eine Handvoll Tage alt. Ich hatte echt ein schlechtes Gewissen. Aber: Es funktionierte und vier Tage später trank ich das erste Glas Wein seit fast fünf Jahren.
Ich erinnere mich noch an eine Situation, vielleicht zwei Wochen nach dem Abstillen meiner Tochter. Wir saßen beim Kinderarzt und eine andere Mutter stillte ihr Baby. „Mama, was macht die Frau denn da?“, fragte meine Kleine mich. Sie hatte keine Erinnerung mehr. Es fehlte ihr nichts. Wenn mir das mal jemand früher gesagt hätte… Aber ich glaube, ich hätte alles genau so wieder gemacht.